Das Jane-Austen-Trauma

Die erste Begegnung mit dieser Autorin fand im Englischunterricht statt. Nicht dass man jetzt denken sollte, der wäre derart ambitioniert gewesen, das wir dort Austens Romane lasen. Im Gegenteil. Meine Englischlehrerin in der Oberstufe war zwar Muttersprachlerin, aber enorm unmotiviert, so dass wir viele Stunden damit zubrachten, englische Filme anzusehen. Darunter auch zwei lange Jane-Austen-Verfilmungen, die eine war wohl "sense and sensibility", bei der anderen weiss ich es nicht, und da es in beiden Filmen doch sehr ähnlich zuging (ländliches England, Kostüme, Liebeskram nach Irrungen und Wirrungen) schaffte ich es nicht, beide auseinanderzuhalten. Was mich erstaunlicherweise nicht daran hinderte, eine gute Klausur darüber zu schreiben, aber der Inhalt zählt ja nur zu einem Drittel bei Fremdsprachen-Klausuren.

In jedem Falle stand mein Urteil fest: Jane Austen schrieb Schnulzen. Und sowas las ich nicht.

Nachdem ich aus der Schule raus war und versuchte, mir ein bisschen Bildung anzueignen, stieß ich erstaunt auf die Tatsache, dass Austen keine Heftchenschriftstellerin des 19. Jahrhunderts, sondern eine anerkannte Autorin war. Was natürlich längst kein Grund war, sie zu lesen.

Dann wurde "pride and prejudice" neu verfilmt. Ich sah den Trailer und war irgendwie ganz angetan. Hübsche Hauptdarsteller (männlich wie weiblich) und irgendwie schien die Sache Witz zu haben. In den Film ging ich nicht, aber ich kaufte mir das Buch. Und verliebte mich sehr passend -- wie eine von Austens Figuren nach langer Verleugnung voller Vorurteile. In der Tat war der Roman voller Humor und spitzer gesellschaftskritischer Anmerkungen, und ich fühlte mich wunderbar hineingezogen, um mich mit jedem zu identifizieren (übrigens am meisten mit Mr. Darcy). Es machte Spaß, das Ding zu lesen, auch wenn die Moralvorstellungen natürlich eher dazu angetan waren, entsetzt zu sein und sich zu freuen, was alles erreicht worden war. Man vergisst so leicht, dass es ein riesengroßer Fortschritt ist, dass Frauen heute ihren Lebensunterhalt verdienen können und mit jedem zusammenleben können, den sie mögen.

In jedem Falle hat Jane Austen nun einen Platz in der sehr kleinen Gruppe berühmter Schriftsteller, die ich mag1. Und das Trauma ist überwunden.

1 Zu dieser Gruppe gehört prominenterweise James Joyce, der wiederum für ein Trauma meiner Englischlehrerin verantwortlich ist. Man erwartet ja auch einfach nicht, dass die Schülerin, die man gerade beim Lesen erwischt hat, mit der englischen Ausgabe von Ulysses2 beschäftigt ist.

2 Ja, ich liebe das Buch. Nein, ich habe keine Ahnung davon :-)

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