Random Theories

Mittwoch, 22. März 2006

Der neue alte Heimatbegriff

Ich möchte mich ja nun offenbar doch in der Wissenschaft rumtreiben. Da kann es durchaus sein, dass ich mal zeitweilig oder für immer im Ausland lande. Also habe ich durchaus drüber nachgedacht, wann ich die dortige Staatsbürgerschaft annehmen würde und warum.

Eigentlich gibt's da für mich nur zwei Gründe: Ich möchte, wenn ich Steuern zahle, gern mitbestimmen, wofür die verwendet werden. Und ich möchte die Lokalpolitik da mitbestimmen, wo ich wohne (aktuell darf ich das nicht, weil ich hier in BW noch nicht lange genug wohne. Und bei der nächsten Landtagswahl wohne ich wohl nicht mehr hier. Grummel.). Das Fazit daraus ist, dass ich die deutsche Saatsbürgerschaft abgeben würde, wenn ich eine feste Stelle im Ausland hätte.

So eine Motivation ist nicht die, die in den hessischen und baden-württembergischen Fragebögen abgefragt wird. Da wird danach gefragt, ob man eine heimatliche Verbundenheit zum Land teilt (Flüsse und Mittelgebirge), ob man willkürlich ausgewählte Werte teilt, und ob man im deutschen Schulunterricht, wenn es den heute gäbe wie vor 50 Jahren, aufgepasst hat (Kreidefelsen auf Rügen, deutsche Philosophen). Abgesehen davon, dass die hessischen Fragen bildungsbürgerlicher Scheißdreck sind, ist der Heimatbegriff sehr seltsam. Es ist, als müsste man eine besondere Beziehung zu Deutschland haben, um eingebürgert zu werden; als sei ginge es um etwas, das tiefer geht als politische Mitbestimmung.

Dieser Heimatbegriff ist überholt. Heute muss ich mich nicht mehr da "zu Hause" fühlen, wo ich arbeite. "Zu Hause" muss nichtmal ein geographischer Ort sein; oder es können viele geographische Orte sein.

Wie seltsam, dass in einer Zeit, in der mehr und mehr Menschen diese Trennung zwischen Heimat und Wohnort erleben, soviel Wert auf das Zusammenfallen gelegt wird.

Verdammt, vor sechs Jahren habe ich über so eine Kramzeug Klausuren geschrieben. Wenn ich mir das in zwei Stunden überlegen kann, kann es nicht schwierig sein.

Noch mehr Paralleluniversen

Warum habe ich auf diese Geschichte eigentlich mit "was für ein Arschloch" reagiert? Der beschriebene junge Mann ist doch offensichtlich sensibel, das Erlebnis verfolgt ihn, er macht sich Gedankenund ist generell sympathisch beschrieben. Warum finde ich ihn trotzdem unsympathisch?

Vielleicht, weil er den Punkt nicht sieht. Nämlich, dass die drei Jungs von der Beratungsfirma sehr wohl mitverantwortlich dafür sind, wenn da Leute ihre Jobs verlieren. Eben weil die Entscheidungen anregen. Und dass man mit den Ergebnisse konfrontiert werden kann: Nicht nur, dass es der Firma besser geht, die Aktie steigt, sondern auch, dass es 150 Menschen gibt, die zurecht wütend sind. Wütend, weil die Beratungsfirma ihnen nicht helfen konnte; wütend, weil sie es aller Wahrscheinlichkeit nichtmal versucht haben. Und ja, sicher auch wütend, weil da Leute aus einem Paralleluniversum kommen, wo Hochdeutsch gesprochen wird und junge Menschen über das Leben von Leuten, die ihre Eltern sein könnten, mitentscheiden dürfen.

Na klar ist das unangenehm. Und ich verstehe die Bestürzung, die Demütigung des jungen Mannes. Aber er übernimmt die Verantwortung nicht, und das wirkt dann doch ein wenig weinerlich.

Wirklich verblüfft an dem Beitrag hat mich aber das Paralleluniversum, in dem offensichtlich einige der Kommentatoren leben. Mal hier Consultant sein, mal da, und abspringen, wenns schlecht aussieht: Das geht nun wirklich nur für wenige Leute mit guter Ausbildung. Klar, für Unternehmensberatung muss man nicht BWL studiert haben. Aber kommt man wirklich auch mit Realschulabschluss und zwei Jahren vergeblicher Ausbildungsplatzsuche rein? Und arbeitet man Jahrzehnte am Fließband, weil einem die Firma und die Arbeit so gut gefällt? Wohl eher, um überhaupt Geld ranzuschaffen und weil anderswo Perspektiven fehlen.

All das bestätigt meine Ansicht, das die Reichen und Gebildeten eine Parallelgesellschaft bilden. Es macht mir Spaß, in Blogs davon zu lesen, wie Kunstfiguren davon erzählen. Aber wenn sie sich in die Realitäten anderer Leute einmischen, wird's oft unangenehm.

Montag, 13. März 2006

Demokratie und Kommunikation

Könnte es einen Zusammenhang geben zwischen der Entwicklung der Demokratie und Entwicklung von schnellen Kommunikationsmitteln wie Radio und Telefon? Zeitlich passt es.

Und wenn man solche Kommunikationsmittel nicht hat, dann sind große Teile eimnes Landes sehr weit von ihrer Regierung entfernt, haben keine Möglichkeit sich zeitnah zu beschweren und bekommen von Entscheidungen der Regierung nicht viel mit; eventuell basieren die Entscheidungen der Regierung auch auf unkorrekten Informationen und sind daher schlecht. Dadurch ist es schwer, Vertrauen in die Regierung zu haben, und umgekehrt ist natürlich auch das regieren schwer.

In Demokratien ist es schwieriger, Vertrauen in Regierungen zu erzeugen, weil diese nur kurz bestehen, viel streiten, unterschiedliche Interessen vertreten müssen und es nie schaffen, es allen Recht zu machen, obwohl das das Ziel ist. Vor allem wollen demokratische Regierungen keine absolute Loyalität; das würde der Vorstellung der mündigen Bürger zuwiderlaufen. Aber ohne einen starken Herrscher, der Loyalität erzwingen kann, wird es für eine weit entfernte Regierung sehr schwer sein, ihre Arbeit zu machen.

Vieleicht gab es auch darum erst so spät Demokratien außerhalb von kleinen Stadtstaaten. Vielleicht ist auch darum Demokratie in Drittweltländern so schwer zu verankern.

Ein Gegenbeispiel gibt es ja: Die USA. Dort hat die Demokratie trotz miserabler Kommunikationsmittel überlebt. Das die Regierung dort trotzdem mit Mißtrauen beäugt wird, könnte daran liegen, das der Informationsfluß dort auch heute noch schlecht ist (viele Lokalnachrichten, wenig Überregionales oder gar Internationales!)...

Dienstag, 21. Februar 2006

Das Jane-Austen-Trauma

Die erste Begegnung mit dieser Autorin fand im Englischunterricht statt. Nicht dass man jetzt denken sollte, der wäre derart ambitioniert gewesen, das wir dort Austens Romane lasen. Im Gegenteil. Meine Englischlehrerin in der Oberstufe war zwar Muttersprachlerin, aber enorm unmotiviert, so dass wir viele Stunden damit zubrachten, englische Filme anzusehen. Darunter auch zwei lange Jane-Austen-Verfilmungen, die eine war wohl "sense and sensibility", bei der anderen weiss ich es nicht, und da es in beiden Filmen doch sehr ähnlich zuging (ländliches England, Kostüme, Liebeskram nach Irrungen und Wirrungen) schaffte ich es nicht, beide auseinanderzuhalten. Was mich erstaunlicherweise nicht daran hinderte, eine gute Klausur darüber zu schreiben, aber der Inhalt zählt ja nur zu einem Drittel bei Fremdsprachen-Klausuren.

In jedem Falle stand mein Urteil fest: Jane Austen schrieb Schnulzen. Und sowas las ich nicht.

Nachdem ich aus der Schule raus war und versuchte, mir ein bisschen Bildung anzueignen, stieß ich erstaunt auf die Tatsache, dass Austen keine Heftchenschriftstellerin des 19. Jahrhunderts, sondern eine anerkannte Autorin war. Was natürlich längst kein Grund war, sie zu lesen.

Dann wurde "pride and prejudice" neu verfilmt. Ich sah den Trailer und war irgendwie ganz angetan. Hübsche Hauptdarsteller (männlich wie weiblich) und irgendwie schien die Sache Witz zu haben. In den Film ging ich nicht, aber ich kaufte mir das Buch. Und verliebte mich sehr passend -- wie eine von Austens Figuren nach langer Verleugnung voller Vorurteile. In der Tat war der Roman voller Humor und spitzer gesellschaftskritischer Anmerkungen, und ich fühlte mich wunderbar hineingezogen, um mich mit jedem zu identifizieren (übrigens am meisten mit Mr. Darcy). Es machte Spaß, das Ding zu lesen, auch wenn die Moralvorstellungen natürlich eher dazu angetan waren, entsetzt zu sein und sich zu freuen, was alles erreicht worden war. Man vergisst so leicht, dass es ein riesengroßer Fortschritt ist, dass Frauen heute ihren Lebensunterhalt verdienen können und mit jedem zusammenleben können, den sie mögen.

In jedem Falle hat Jane Austen nun einen Platz in der sehr kleinen Gruppe berühmter Schriftsteller, die ich mag1. Und das Trauma ist überwunden.

1 Zu dieser Gruppe gehört prominenterweise James Joyce, der wiederum für ein Trauma meiner Englischlehrerin verantwortlich ist. Man erwartet ja auch einfach nicht, dass die Schülerin, die man gerade beim Lesen erwischt hat, mit der englischen Ausgabe von Ulysses2 beschäftigt ist.

2 Ja, ich liebe das Buch. Nein, ich habe keine Ahnung davon :-)

Freitag, 17. Februar 2006

Irgendwie... beunruhigend

Über den Gleichklang "Dissertand" <--> "Dissidend" zur These gekommen, dass sich das Leben als Doktorand wirklich nicht sehr vom Leben im Ostblock unterscheidet. Man darf nicht unbedingt seine Meinung sagen, muss sie auf jeden Fall mit der "Parteilinie" (Betreuer, Arbeitsgruppe, Community) abgleichen. Ob man verreisen darf, entscheiden andere, und wenn man verreist, muss man danach Berichte darüber schreiben, mit wem man über was geredet hat. Die eigenen Rechte können dauernd und willkürlich beschnitten werden. Man arbeitet eine Menge, bekommt wenig Geld dafür, und am Ende gehört alles, was man macht, der Arbeitsgruppe; man erwirtschaftet kein Eigentum. Dass es einem wirtschaftlich schlechter geht als anderen (nämlich denen in der Industrie), und dass man mit uraltem Material improvisieren muss, wo andere high-tech haben, überspielt man mit Ideologie und kann sich so überlegen fühlen. Alles fing mit hohen Idealen an und funktioniert... nun, nicht so gut. Benimmt man sich daneben, kann man verbannt werden: An unbedeutende Provinzorte, in austrocknende Sonderforschungsbereiche, auf ewige Assistentenstellen.

Dumme Frage #176

Es gibt ja die Theorie, dass Jäger-und-Sammler-Gesellschaften matriachalische Gesellschaftsstrukturen gehabt hätten1 und sich daraus im Zuge der Entwicklung des Ackerbaus und folgender Seßhaftwerdung das Patriachat bildete. Jetzt gab es ja noch einen massiven Umbruch in der Lebens-, Arbeits- und Ernährungsweise, nämlich die Industrialisierung. Und auch die ging einher mit Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen, die dann zur Emanzipation der Frau führten bzw. immer noch führen. Zufall ist das nicht. Im Falle der Erfindung der Landwirtschaft gibt es auch Erklärungsmodelle, warum diese zum Patriachat führt. Ich frage mich, ob man das auch bei der Industrialisierung verstehen kann. Klar, aus ethnologischer Sicht ist das Datenmaterial etwas dürftig; es gab halt nur eine industrielle Revolution. Trotzdem gibts da ja vielleicht Ideen. Nur kenne ich die nicht.

Da merke ich wieder, dass ich unglaublich ungebildet bin: Ich bin mir nichtmal sicher, wo ich mit der Suche nach einer Antwort anfangen könnte. Seufz. Und dabei hab ich nen Hochschulabschluss. Traurig.


1Ich finde die Theorie etwas unplausibel, weil es bei anderen Primaten kein Matriachat gibt, und es wäre schon seltsam, wenn wir Menschen da völlig anders gestrickt wären. Aber na ja.

Freitag, 10. Februar 2006

Uniformiertes Heldentum

Es lohnt wirklich, Bücher wieder und wieder zu lesen (nein, nicht nur, wenn man gerade in eine neue Stadt gezogen ist und keine Leute zum Ausgehen kennt, auch sonst.). Gestern wieder in Klemperers "LTI" gesehen, und ich finde doch immer wieder Dinge, die mir noch nie aufgefallen sind. Wie zum Beispiel, dass Klemperer (im Vorwort) erklären kann, warum Superhelden komische Klamotten tragen. Weil man Heroismus nur in Uniform gekannt hat, durch die zwei Weltkriege und die Zwischenkriegszeit im öffentlichen Bewusstsein kaum ziviles Heldentum vorkam. Deswegen braucht ein Superheld eine Uniform, auch wenn sie nur seine Zugehörigkeit zu einer Ein-Mann-Armee anzeigt -- als Zivilist, in seinen Alltagskleidern, würde man ihm sein Heldentum nicht genug anmerken.

Die Superhelden kamen aus der Mode, weil man sich an Geheimoperationen, verdeckte Ermittelung und Terrorismus im zivilen Gewand gewöhnt hat im kalten Krieg.

Und vielleicht kommen sie jetzt wieder in Mode, weil der Feind eine Uniform in Form von Bärten, Turbanen und Gewändern hat...

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